Inhalt
Der vom Alter gezeichnete Nobundo, ein Draenei, der zu den „Zerschlagenen“ (in Draenei-Sprache „Krokul„) gehörte, stapfte durch die kühle Luft des Morgennebels im Pilzwald der Zangarmarschen. Gestützt auf seinen langen Stock, dachte er an die grauenvolle Zeit der orcischen Feldzüge zurück. Die Orcs, welche die Zivilisation der Draenei vor vielen Dekaden fast an den Rand der völligen Auslöschung führte.
Nobundo, der sich auf dem Weg zu einer Siedlung seiner Vettern befand, war sich wehmütig im Klaren darüber, dass er als „Zerschlagener“ von seinen Artgenossen verstoßen worden war. Das unvorstellbare Leid, dass die Draenei durchleben mussten, führte zu dieser Spaltung ihres Volkes. Und Nobundo war einer der Wenigen, die als Zeitzeugen das Grauen, verursacht von einer blutrünstigen orcischen Horde, miterleben mussten.

Nur noch wenige Meter von dem Hauptplatz der Draenei-Siedlung Telredor entfernt, sich gewahr darüber, dass die Draenei ihn als „Kokul“ mit verächtlichen Blicken steinigten, hielt Nobundo inne und ließ die furchtbaren Erinnerungen an vergangene Zeiten aufleben. An Zeiten, als die orcische Horde von dämonischen Blutdurst getrieben wie eine Welle der Zerstörung über Draenor herfiel und alles in ihrem Weg verschlang.
Nobundo kämpfte gegen die Orcs, die wie im Wahn alles niedermetzelten, was ihnen in die Quere kam. Es gab nichts, was sie aufhielt. Keine militärische Gegenwehr, keine Flucht, keine Strategien, nicht einmal die Stärke des Lichts vermochte diese Woge der Vernichtung zu stoppen. Die Belagerung der Stadt Shattrath hatte sich besonders tief in die Erinnerung von Nobundo festgesetzt.

Schließlich verlor er dort nicht nur seine größte Schlacht gegen die orcischen Horden, er verlor auch sein Volk und beinahe sein Leben. Schwer verletzt schleppte sich Nobundo in die Wälder von Terokkar, dort fanden ihn einige andere Überlebende seines Volkes. Die Orcs hatten ihren Genozid beinahe vollständig ausgeführt.
Nobundo musste feststellen, dass er selbst und einige andere mit einer grauenhaften Krankheit infiziert worden waren, die in der Schlacht von Shattrath durch einen unheimlichen roten Dunst auftrat. Diese Krankheit, welche den Namen „Rote Pocken“ trug, bewirkte, dass Nobundos Körper mehr und mehr verfiel, sich deformierte. Bei einigen Draenei ging der Verlauf rascher vonstatten, bei anderen wiederum langsamer.

Dieser Horror führte dazu, dass die ohnehin schon vom Krieg gezeichneten Draenei sich weiter spalteten. Die wenigen, die nicht von der Krankheit heimgesucht worden waren, lebten fortan weiter als die Unberührten. Diejenigen, die erste Anzeichen der mysteriösen Krankheit zeigten, galten von diesem Augenblick an den Zerschlagenen zugehörig.
Die Unberührten verstießen die Zerschlagenen. Nannten sie „Krokul“. Sie überließen sie ihrem Schicksal. In die gefährliche Wildnis von Draenor verstoßen, um dort ihr Ende zu finden und die gesunden Draenei nicht zu gefährden. Nobundo war einer der Zerschlagenen, verflucht ein Dasein als Schatten seines einstigen Selbst zu tristen. Er war vom Licht verlassen, er konnte es nicht mehr fühlen.
Die ersten Jahrzehnte im Schatten ihrer einstigen Existenz waren die Schlimmsten. Die Zerschlagenen rechneten jeden Tag damit, dass die geheimnisvolle Krankheit sie dahinraffen würde. Es gab Todesopfer, aber die Mehrheit der ehemaligen Draenei starb nicht, sie deformierte sich. Ihre Körper wurden kleiner, ihre Hufe splitterten, ihre Haut bekam Ekzeme, ihre Augen wurden milchig.
Das Leid der Zerschlagenen ließ viele verzweifeln. Nobundo kämpfte all die Jahre mit seinen eigenen Dämonen, durchlebte immer wieder die Kriegsgräuel der Orcs, die Frauen und Kinder der Draenei folterten und abschlachteten. Es dauerte Jahre, bis ihm schließlich ein neuer Weg aufgezeigt wurde. Bestärkt wurden seine Bemühungen, sein eigenes Schicksal neu zu finden, durch den Anführer der Draenei, dem weisen Propheten Velen.

Als Nobundo die Draenei-Siedlung Telredor betrat und auf Ablehnung stieß, war es Velen, der ihn willkommen hieß. Velen sorgte mit weisen Worten dafür, dass Nobundo nicht wieder ging, sondern sein neu gefundenen Weg mit den Draenei teilte. Den Weg des Schamanen.
Die Orcs selbst hatten diesen Weg einst beschritten, bevor sie sich dämonischer Verderbnis ergaben und wie eine Flut des Todes über Draenor hinwegfegten. Nun war der Zeitpunkt gekommen, dass die Draenei ihr Band mit den Elementen entdeckten. Und Nobundo würde seinem Volk diesen Weg zeigen.
Rezension
In der weiten Welt von WarCraft hat kaum ein Volk so sehr gelitten wie die Draenei. Ihre Ursprünge gehen weit zurück, sie stammen von Argus, der Heimatwelt der Brennenden Legion. Natürlich zu einer Zeit, als es die Brennende Legion noch nicht gab. Eine Sache änderte sich jedoch nie: Velen war ihr Anführer, ein weiser und gütiger Herrscher.
In dieser Kurzgeschichte wird das Leid der Draenei beleuchtet, die viele Jahre zuvor auf der Flucht vor der Legion den Planet Argus verließen, auf dem idyllischen Planeten Draenor landeten und dort heimisch wurden. Bis zu dem Tag, als die orcische Horde über sie herfiel. Ein Genozid folgte, der die friedliebenden Draenei an den Rand der Auslöschung brachte.
Die Geschichte setzt Jahre nach dem versuchten Völkermord durch die Orcs ein, die Draenei waren dadurch gespalten und noch immer auf schreckliche Weise vom Vernichtungskrieg der Orcs gezeichnet. Der Älteste Nobundo befindet sich auf dem Weg zu seinen Artgenossen, die ihn einst verstießen, um sie auf einen neuen Weg zu führen.
Dieses Werk wurde von Micky Neilson geschrieben. Kann die Kurzgeschichte also schlecht sein? Nein, im Gegenteil. Sie ist ein weiteres großartiges Puzzlestück im Mosaik von WarCraft. Die Draenei tauchten zum ersten Mal in WarCraft III auf, in der Allianzkampagne Fluch der Blutelfen. Ihre Bedeutung und Existenz sowie Geschichte wurde in World of WarCraft weiter fortgeführt.
Diese stolze Kurzgeschichte, die immerhin über 30 Seiten umfasst, erzählt aus der Perspektive eines Einzelschicksals einen immens wichtigen Kernmoment in der Historie der Draenei. Selbst Lesern, welche nur grob den Hintergrund der Draenei kennen, wird verständlich gemacht, was für ein Ausmaß der Schilderung zugrunde liegt. Im Laufe der Jahre hat Blizzard Entertainment den tragischen Werdegang der Draenei immer weiter ausgebaut.
Micky Neilson hatte, unter anderen in dieser Kurzgeschichte, einen erheblichen Anteil daran. Auch wenn die Geschichte spannend geschrieben ist, etwas abrupt treten manchmal jedoch Schauplatzwechsel, sowie Zeitebenen auf. Eben noch in den Gedanken eines Charakters versunken, an derer der Leser teilnimmt, sind im nächsten Absatz offenbar einige Tage vergangen und der Schauplatz ist ein ganz anderer. Zum Glück kommt dies nicht oft vor.
Manche Schilderungen gehen auch sehr intensiv unter die Haut, in Sachen Düsternis hält sich Altmeister Neilson nicht damit zurück die Brutalität des Krieges ungefiltert auf seine Leser loszulassen. Das hinterlässt definitiv einen bleibenden Eindruck, der so manch einen nach Fassung ringen lässt.
Fazit
Es steht abschließend völlig außer Zweifel, dass die Kurzgeschichte „Ungebrochen“ aus der Feder von Micky Neilson wieder zur oberen Klasse gehört. Sie liest sich sehr spannend und stückweise sogar stoisch, was gut zum stoischen Wesen der Draenei passt. Die Geschichte ist in erster Linie wieder eine optionale Beigabe zum zweiten Expansion Set „The Burning Crusade“ für World of WarCraft. Aber nicht nur wer von den Draenei fasziniert ist, sollte sich diese mitreißende Kurzgeschichte unbedingt zu Gemüte führen. Es lohnt sich sehr.
Ungebrochen

- Autor: Micky Neilson
- Artwork: Glenn Rane
- Erscheinungsjahr: 2007